Sind sie cool oder nur verpeilt?
"Fuck for Forest":
Nackte Körper, auf Fotos, in Videos, beim Sex - Pornografie, und das für
die Umwelt. Von den Erlösen aus der Website www.fuckforforest.com wird Regenwald
freigekauft. $15 kostet der Zugang monatlich. Alles sehr ungeschminkt, unprofessionell
- teilweise höchst erotisch. Leona und Tommy heißen die Gründer,
und Leona ist eine Schönheit. Die Bilder mit ihr haben mir sehr gefallen.
Leona, Tommy und wer sonst
noch gerade dabei ist, wohnen angeblich in einer WG in Berlin-Friedrichshain.
Die beiden Gründer kommen aus Schweden. Im Sommer ist Fuck for Forest auf
Festivals unterwegs, ziehen die Aufmerksamkeit durch öffentlichen Sex an
sich, verteilen Flyer - immer auf der Suche nach Mitmacher/innen. Wenn's passt,
werden dann Nacktfotos gemacht - möglicherweise auch mehr.
Auf der Website steht eine
E-Mailadresse und eine deutsche Handynummer. Ich bin neugierig. Ich will wissen,
wer dahintersteckt, ob es Fuck for Forest überhaupt gibt. Könnte ja
auch nur eine Masche sein. Ein paar Mal maile ich, wenn ich in Berlin bin, verstecke
mich hinter beruflichem Interesse - ich bin ja Dokumentarfilmer und will irgendwann
mal einen Film über die Spielarten der Liebe drehen blablabla.
Die Mails werden nur ganz
knapp und immer erst Wochen später beantwortet, wenn ich längst nicht
mehr da bin, also rufe ich die Nummer an - es ist immer nur die Mailbox dran und
meistens traue ich mich sowieso nicht.
Dann komme ich nach Berlin,
eines Abends, und während ich noch im Zug sitze, teilen mir meine Gastgeber
telefonisch mit, dass sie spontan was anderes vorhaben. Ich telefoniere herum,
die anderen Freunde haben alle keine Lust; es ist eine bitterkalte Novembernacht.
Ich habe auch zu nichts Lust, der Gedanke, in einer lauten Kneipe zu sitzen, ist
fürchterlich. Irgendwo entspannt privat in Polstermöbeln rumhängen
mit interessanten Leuten, das wär's jetzt. Ich bilde mir natürlich ein,
dass die FFF-Leute, wenn es sie denn wirklich gibt, immer ganz wahnsinnig abgefahrene
Sachen machen, auf Partys, im KitKat-Club oder so. Aber wenn das so ein Abend
ist, an dem alle Angerufenen lieber zu Hause hocken, dann geht es den FFF vielleicht
genauso. Ich rufe also da mal an. Wieder nur die Mailbox. Aber dann - ein Rückruf
von Fuck for Forest. Eine junge Frau ist dran, ich rede wieder ewig herum, sage
was von "tolles Projekt" und "ich mache auch Filme" (ich hasse
mich dafür, dass ich das sage) und dann sagt sie, dass wenn man sich mit
ihnen trifft, man grundsätzlich schon offen dafür sein sollte, Fotos
zu machen. "Ah so", sage ich.
Die Frau meint, FFF hätten heute eigentlich keine Zeit, aber sie guckt mal
und ruft in 20 min wieder an.
Nach 30 min melde ich mich
dann, "das wird wohl nichts mehr heute, oder?".
Inzwischen: Ich habe Lust bekommen, das durchzuziehen. Wer weiß, wo es hinführt.
Oh, Gott, was sagt meine Freundin dazu? Meine Freunde? Kann ich das überhaupt
jemandem erzählen? Egal. Ich bin Journalist. Ich muss da durch. Ich bin schließlich
immer daran interessiert, neue Sachen ausfindig zu machen, die mensch so tun kann.
Und was immer bei einem Treffen mit FFF herauskommt, interessanter als ein Abend
in einer lauten Kneipe wird es sowieso.
"Das wird wohl nichts
mehr heute, oder?" "Ach so, na ja, Leona und Tommy haben keine Zeit,
ich eigentlich auch nicht, wir könnten uns höchstens auf ein Bier treffen
und dann mal sehen. Hast du dir das denn überlegt mit Fotos machen?"
Ich sage ja, aber dann frage ich nochmal geradeheraus, wie das denn sei, man müsste
doch schon erst schauen, ob man sich gegenseitig gefällt
? Da stellt
sie dann klar, dass es erstmal darum ginge, Nacktfotos von mir alleine zu machen.
"Will das denn jemand sehen?", frage ich, was sie etwas verständnislos
beantwortet - "Klar, wieso nicht?"
Wir reden ein bisschen am
Telefon, ich versuche, irgendwie anzudocken - denn die Frau ist zwar nicht unfreundlich,
aber doch ein bisschen abweisend - schwer zu beschreiben. Ich erzähle, dass
ich das schon aufregend finde, "allein, euch mal kennenzulernen", ich
sage, dass ich mit keinen meiner Freunde/Freundinnen Nackt- oder Sexfotos machen
oder auch nur darüber reden könnte. "Dann hast du aber uncoole
Freunde". Moment mal. Ich verteidige meine Freunde, aber das bringt irgendwie
nix am Telefon. Also verabreden wir uns für halb elf im Stadtteil Friedrichshain.
Sehr starkes Herzklopfen
während der Fahrt.
Dann melde ich mich, dass ich da bin, und warte am verabredeten Standort. Nach
einer Weile kommen zwei weibliche Wesen auf mich zu. Knapp bekleidet, eine trägt
trotz Schnee und Eis untenrum eigentlich nur eine Unterhose und Kniestrümpfe.
Nicht, dass das nicht toll aussieht. Das sind sie also, die Frau, mit der ich
telefoniert habe, und Leona, die ich auf der Website schon mit Gemüse im
Hintern gesehen habe.
Wir begrüßen uns knapp, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wir
gehen in eine sehr seltsame Kneipe, in der die Leute nur schweigend herumsitzen
oder kiffen oder beides. Die nächste halbe Stunde versuche ich immer wieder,
wie schon am Telefon, irgendwie eine verbale Kommunikation hinzukriegen. Gelingt
aber nicht. Meine Fragen werden zwar beantwortet und manchmal reden die beiden
auch von sich aus, aber ein grundsätzliches Desinteresse an mir ist immer
zu spüren. Und was ich sage, hört sich auch dementsprechend dämlich
an. Bald sage ich fast nichts mehr. Wir sind offensichtlich nicht hier, um uns
kennenzulernen. Es geht auch nicht darum, Spaß zu haben. Wir werden Urwald
retten. Indem wir Nacktfotos machen. Mit mir. Als "Arbeit" bezeichnen
die FFF ihre Tätigkeit nicht. Aber es scheint auch nicht das zu sein, was
sie am liebsten machen, Vielleicht hat sich eine gewisse Langeweile eingeschlichen?
Wenn wir wenigstens über Naturschutz reden würden!
Immerhin - sie erzählen
- glaubhaft -, dass die FFF-Einnahmen nach Abzug von Website- und Fahrtkosten
für Festivals usw. komplett in den Urwaldschutz gehen. Offensichtlich gibt
es ein Selbstverständnis als Umweltorganisation. Natty, das ist die Frau,
mit der ich telefoniert habe, ist offiziell die Praktikantin. Ich kann ihren Busen
sehen, als sie mir gegenübersitzt. Da ist nichts mehr dabei in der Welt,
die ich gerade betreten habe.
Gut, machen wir Fotos. Ich
trotte hinterher, als sie in ihre WG zurückgehen. Das Desinteresse an mir
finde ich ein bisschen schade. Wäre doch lustiger, sich zusammen bewusst
zu machen, dass wir gleich was Verrücktes machen, um die Welt ein bisschen
besser zu machen. Es ist eher routiniert. Aber für mich - ich komme mir so
schuljungenmäßig vor - immer noch spannend genug, um mitzugehen.
Die Wohnung ist winzig und
liegt völlig im Chaos versunken. Es ist auch irgendwie gemütlich. Tommy
ist zu Hause, aber "not in people mood today" (Leona spricht nur englisch).
Ich sehe ihn flüchtig im größeren der beiden Zimmer nackt auf
einem Bett liegen. Wir betreten das kleinere Zimmer und die beiden Frauen beginnen,
das Shooting vorzubereiten. Sie sammeln eine Lichterkette mit blauen Sternen zusammen,
ein paar bunte Strahlerchen und zwei Schwarzlichtleuchten. Sie werden mich ein
bisschen bemalen. Ich habe ja keine Ahnung, also lasse ich mir Kreuze um die Augen
zeichnen, wie Leona es auch hat. Dann ziehe ich mein T-Shirt aus und während
die "Praktikantin" damit kämpft, die Lichterkette mit Stecknadeln
an der DDR-Tapete zu verankern (meine handwerklichen Ratschläge interessieren
sie rein gar nicht), pinselt Leona mir mit einem feinen Pinsel Leuchtfarbe auf
Lippen, Brust, Arme und Rücken. "Ist das extra Körperfarbe?"
"Nö. Geht aber mit Wasser wieder ab". Dann ziehe ich mich ganz
aus, stehe plötzlich nackt im Raum und es ist rein gar nichts dabei. Leona
malt konzentriert ihre Striche auf Bauch, Penis, Beine. Meine kleine Umweltschutzgruppe
bei der Arbeit. Schon lustig.
Dann hat Natty eine Kamera
in der Hand und fängt an zu knipsen. Erst mal schauen, wie das aussieht.
Ich lege mich hin, drapiere die blauen Sterne um mich und wir machen Bilder mit
und ohne Deckenlicht, ich mache mir den Schwanz ein bisschen steif, es ist weder
verrucht noch erotisch - erinnert mich eher an einen FKK-Strand mit Matratzen
statt Sand. Ich lasse mich noch ein bisschen bepinseln an Stellen, an die ich
selbst nicht rankomme, mich fasziniert, wie fucking normal sich diese ganze Aktion
anfühlt und würde gern wissen, ob es da irgendeine Grenze gibt. Es ist
aber nicht so, dass die beiden Aufnahmeleiterinnen mit Tipps geben oder gar Anstalten
machen, sich dazuzulegen - und so ist am Ende der interessanteste Moment eigentlich
der, in dem ich, wieder angezogen, Leona kurz umarme. So fühlt sich eine
Umarmung am Campingplatz an, wenn man sich von netten Zeltnachbarn verabschiedet.
Das hat nichts mit Sex oder gut kennen zu tun, aber es drückt Wohlwollen
aus und Respekt vor einem freundlichen Mitmenschen. Ich wäre an diesem Abend
auch weiter gegangen und hätte dann später mit leerem Kopf mit den Schultern
gezuckt, wenn ich von meinen (gar nicht uncoolen!) Freunden gefragt worden wäre,
ob Sex als Ausdruck größter Nähe denn gar nichts Besonderes für
mich sei. Vielleicht hätte ich mich auch ein paar Tage lang ein bisschen
leer gefühlt. Mein bürgerliches Leben hätte es aber wahrscheinlich
nicht zerstört.

Als ich mich wieder anzog,
überhörte ich ein Gespräch zwischen den Damen und Tommy, da ging
es darum, dass irgendwas "nichts Besonderes" war, nur "rauf und
runter, the usual", vielleicht fiel auch noch der Begriff "kind of boring".
Darauf angesprochen, sagte Leona nur, dass sie über was anderes geredet hätten.
Ich schrieb ihr meine Mailadresse auf, ich bekomme ein Passwort zugeschickt als
Dankeschön.
Wenn aufgrund dieses Artikels
ein paar Leute über FFF was für den Regenwald spenden, freut mich das.
Wenn Seiten wie FFF dazu führen, dass kommerzielle, teilweise frauenverachtende
Pornografie weniger wird, freut mich das auch. Der Lust an den Sexbildern ist
es aber wahrscheinlich gar nicht so wichtig, wer da dahintersteckt. Ich habe Leona
gefragt, ob sie wissen, auf was ihre immerhin fast 1000 zahlende Kunden am liebsten
sehen. Sie sah mich lächelnd an. Da sei doch für jeden was dabei. Das
klingt sympathisch, aber ich vermute, dass die meisten Kunden Männer sind,
die auf Bilder von Frauen scharf sind, möglicherweise sogar konkret auf Bilder
von ihr. Das scheint sie nicht zu stören. Das Interessanteste auf der Website
sind die Tagebucheinträge von ihr und ihren Kolleg/innen. Weil die Geschichten,
die sie erleben, so anders verlaufen als erwartet. Wer Sex nur als ein Spiel begreift,
mit dem man die Umwelt ein bisschen retten kann, findet Situationen bizarr und
lustig, die andere als Alptraum bezeichnen würden.
Ob das Geld auch wirklich
in Costa Rica landet, kann ich auch nicht beweisen. Aber ich weiß jetzt
(und staune), dass diese Leute wirklich existieren und ich finde es ungemein befreiend,
mal einen Blick hinter den eigenen Horizont geworfen zu haben.